Kleptomanisches Stehlen bei Patienten mit Bulimie (Ess- Brechsucht) und Anorexia nervosa (Magersucht)
Sie begehen Diebstähle, ohne sich wirklich erklären zu können, warum Sie dies tun. Neben dem Zwang zum Stehlen leiden Sie an einer Essstörung wie z.B. Bulimie (Ess-Brechsucht) oder einer Anorexia Nervosa (Magersucht).
Rechtsanwalt Dietrich als Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin Kreuzberg vertritt viele Mandanten, die an einer Essstörung leiden und aufgrund einer Störung der Impulskontrolle einen Zwang zum Stehlen (Kleptomanie) verspüren. Deshalb erklärt er Ihnen im Folgenden die Zusammenhänge zwischen dem zwanghaften Stehlen und einer Bulimie oder der Magersucht.
Rechtsanwalt Dietrich beantwortet Ihnen insbesondere folgende Fragen:
- Wann liegt Kleptomanie vor?
- Kommt es häufig vor, dass man bei einer Essstörung Diebstähle begeht?
- Welche Ursachen für das zwanghafte Stehlen kommen in Betracht?
- Verwirklicht man beim Vorliegen einer Essstörung überhaupt den Tatbestand des Diebstahls?
- Ist man beim Vorliegen einer Essstörung schuldfähig?
- Muss ich als Beamter mit einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechnen?
- Hilfe durch einen Rechtsanwalt?
Wann liegt Kleptomanie vor?
Es kommt nicht selten vor, dass Menschen, die an Bulimie oder anderen Essstörungen leiden, Diebstähle begehen. Oft werden sie dabei von einem inneren Zwang geleitet, ohne dass sie den Diebstahl wirklich begehen wollen.
Bei einem zwanghaften Stehlen (Kleptomanie) werden Diebstahlstaten häufig begangen, ohne dass es dem Betroffenen tatsächlich auf die Sache als solches ankommt. Vor dem Diebstahl baut sich beim Betroffenen ein irgendwie geartetes Druckgefühl auf, welches sich zum Beispiel durch innere Unruhe, starkes Schwitzen, Hitzewallungen, Magenbeschwerden oder Schwindel bemerkbar macht. Nach dem Diebstahl baut sich das Druckgefühl schnell wieder ab. Der Diebstahl findet häufig z.B. in einer Heißhungerattacke statt. Mit dem Abbau des Druckgefühls setzt regelmäßig ein schlechtes Gewissen ein, welches aber in der Zukunft weitere Diebstähle nicht verhindern wird. Die gestohlene Ware wird regelmäßig versteckt oder vernichtet.
Es werden häufig Ladendiebstähle im Supermarkt oder im Kaufhaus begangen. Statistisch leiden mehr Frauen als Männer an Kleptomanie.
Kommt es häufig vor, dass man bei einer Essstörung Diebstähle begeht?
Einige Untersuchungen, die zu diesem Thema durchgeführt wurden, ergaben, dass überdurchschnittlich oft Patienten mit Bulimie kleptomanisches Verhalten aufzeigten. Aber auch Patienten mit Magersucht (anorexia nervosa) und solche, die von beiden Krankheiten betroffen waren, neigten zum zwanghaften Stehlen. Da diese Essstörungen wegen ihres ähnlichen Verlaufs im medizinischen Sinne verwandt sind, wird im Folgenden nur auf die Bulimie Bezug genommen.
Welche Ursachen für das zwanghafte Stehlen kommen in Betracht?
Ein Erklärungsversuch für das zwanghafte Stehlen liegt in der offensichtlichen Annahme, dass Bulimiekranke Lebensmittel oder Geld für Lebensmittel stehlen, weil sie aufgrund ihrer Krankheit einen höheren Bedarf daran haben. Jedoch gibt es weitere Erklärungsansätze, die mögliche Ursachen für Kleptomanie in der Psyche des Betroffenen suchen.
Mediziner und Psychologen gehen von verschiedenen Ursachen für kleptomanisches Verhalten aus.
Nach einer Meinung kann das Bedürfnis zum Stehlen unter anderem entstehen, wenn der Betroffene versucht, sich dadurch etwas zwanghaft zurückzuholen, was er auf normalem Wege nicht bekommen hat. Einige Betroffene sprachen von fehlender Liebe und Zuneigung von Seiten der Eltern. Indem sie ihren Eltern eine Sache wegnahmen, bekamen diese Patienten ein positives Gefühl. Sie besaßen etwas von den Eltern.
Andere wiederum haben ihre Geschwister oder Bekannte bestohlen, um sich an diesen für Streitereien oder Schikanen zu rächen. Das Wissen, dass der Bestohlene einen persönlichen Gegenstand nicht mehr hat und deswegen traurig oder gar verärgert ist, gab ihnen ein Gefühl von Genugtuung und Gerechtigkeit. Oft war die entwendete Sache für die Bulimiepatienten sogar völlig wertlos. Es ging schlichtweg um die Bedeutung des Verlustes für den anderen. Hierdurch verspürten die Betroffenen einen Ausgleich für selbst empfundenes Unrecht.
Für andere wurde das Klauen zum allgemeinen Erfolgserlebnis. Dass sie beim Diebstahl nicht erwischt wurden, gab ihnen Selbstbestätigung und ein Gefühl der Sicherheit, das sie so vorher nicht erlebt hatten.
Hierbei handelt es sich aber nur um einzelne Möglichkeiten. Die Ursachen einer Kleptomanie sind vielseitiger.
Rechtsanwalt Dietrich vertritt häufig drei weitere Personengruppen, die an Kleptomanie leiden.
Zunächst weisen wirtschaftlich und sozial erfolgreiche Menschen, überwiegend Männer, kleptomanisches Verhalten auf. Nach Mitteilung dieser Betroffenen werden die Diebstahlshandlungen aus dem Gefühl begangen, alles erreicht zu haben. Der Diebstahl wird als „Kick“ begriffen.
Neben den erfolgreichen Betroffenen gibt es auch die sozial vereinsamte Menschen, häufig ältere Betroffene, die die Diebstahlstaten ebenfalls begehen, um einen inneren „Kick“ bzw. Lebensgefühl zu verspüren.
Letztlich gibt es Betroffene, die die Diebstähle nur nach Schicksalsschlägen begehen. Zu den Schicksalsschlägen zählen insbesondere die Trennung vom Partner, der Tod oder die Erkrankung einer nahehestehenden Person. Dieser Personengruppe fällt es regelmäßig am schwersten zu erklären, warum konkret der Diebstahl begangen wurde.
Verwirklicht man beim Vorliegen einer Essstörung überhaupt den Tatbestand des Diebstahls?
Für einen Diebstahl muss die Absicht bestehen, sich die Sache zuzueignen. In der Regel geht es den Betroffenen aber nicht um die Ware. Als Verteidiger kann man argumentieren, dass sich der Betroffene an der weggenommenen Sache nicht bereichern möchte. In der Regel wird ein Gericht diesen Einwand aber nicht gelten lassen, da z.B. auch in einer späteren Vernichtung der Ware eine Zueignung gesehen werden kann.
Ist man beim Vorliegen einer Essstörung schuldfähig?
Die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen einer Essstörung und kleptomanischem Stehlen eine Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder zumindest eine verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begründen kann, ist noch nicht abschließend geklärt worden. Dies liegt insbesondere daran, dass selbst psychiatrische Gutachter Schwierigkeiten mit der Erklärung dieser Erscheinung haben und oft nicht eindeutig wissen, ob eine solche Krankheit Grund für kleptomanisches Stehlen ist.
Ein Teil der Wissenschaftler sehen bereits in dem kleptomanischen Verhalten von Bulimie- und Magersuchtpatienten einen Grund für eine Schuldunfähigkeit. Eine andere Studie kommt hingegen zum Ergebnis, dass die Kleptomanie nicht Ausdruck einer Krankheit des Menschen ist, sondern nur ein krankhaftes Verhalten aufzeigt. Demnach sei die Kleptomanie als pathologischer Zustand die Folge eines verfestigten krankhaften Verhaltens.
Von anderen Medizinern und auch vielen Gerichten wird aufgrund dieser Zusammenhänge aber angenommen, dass kleptomanisches Verhalten bei Essstörungen nur ein Symptom für eine tieferliegende psychische Erkrankung sein kann. Diese psychische Erkrankung wiederum kann eine Schuldfähigkeit ausschließen.
Das Kammergericht in Berlin hat sich in seinem Urteil vom 11.09.2012 -Az. (4) 161 Ss 89/12 (175/12) – der Ansicht angeschlossen, die nicht bereits die Kleptomanie als Krankheit einstuft. In diesem Urteil verwarf das Kammergericht die Revision der Angeklagten, die wegen Diebstahls verurteilt worden war. Nach Anhörung von zwei Sachverständigen kam die Kammer zu dem Schluss, dass die Kleptomanie keine einheitliche psychische Störung darstellt, sondern allenfalls ein Symptom einer schweren Persönlichkeitsstörung ist. Diese kann dann aber die Steuerungsfähigkeit und damit die Schuldfähigkeit erheblich mindern. Jedoch war die Kammer der Meinung, dass in dem zu entscheidenden Fall bei einer Gesamtbetrachtung die Steuerungsfähigkeit bei der Tat vorgelegen hat.
Ob die Kleptomanie bei Patienten mit einer Essstörung die Schuldfähigkeit ausschließt oder lediglich ein Symptom für eine Schuldunfähigkeit aufgrund einer anderen Krankheit darstellt, müssen die Gerichte im Einzelfall entscheiden. Da das Phänomen immer häufiger zu beobachten ist, wird es die Rechtsprechung in Zukunft sicherlich weiterhin beschäftigen. Mediziner und Psychologen vertreten bezüglich der Einordnung der Kleptomanie verschiedene Ansichten. Dementsprechend können auch psychiatrische Gutachter oft nicht sicher einschätzen und erklären, wie stark der Patient in seiner Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit eingeschränkt ist. So wird man die Umstände jedes Betroffenen und jeder Tat individuell betrachten müssen. Ein vollständiger Ausschluss der Schulfähigkeit wird in der Regel nicht vorliegen, ist aber im Einzelfall möglich.
Muss ich als Beamter mit einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechnen?
Neben strafrechtlichen Folgen drohen aber auch berufsrechtliche Konsequenzen.
Das Verwaltungsgericht Berlin hatte 2011 in dem Verfahren Az. 80 K 2.11 OL über die Entfernung einer Frau aus dem Beamtenverhältnis zu entscheiden, welche mehrere Diebstähle über einen längeren Zeitraum, meist unter Kollegen, begangen hatte. In der Verhandlung äußerte sie, dass sie seit Jahren unter Bulimie und darüber hinaus an einer mittelgradig depressiven Störung (ICD-10 F32.1) und einer Anpassungsstörung (ICD-10 F43.2) leide. Sie konnte sich auch selbst nicht erklären, warum sie die Kollegen bestohlen habe. Als einziger Grund kam für sie gefühlter Neid und eine Unrechtswiedergutmachung in Betracht. Eine der bestohlenen Kolleginnen hatte immer mit ihrem Geld geprahlt. Die Beklagte selbst benötigte das Geld aber nicht dringend. Auch räumte sie die Diebstähle sofort ein und entschuldigte sich.
Das Verwaltungsgericht Berlin war der Ansicht, dass die Diebstähle in schuldunfähigem Zustand begangen wurden. Jedoch wurde die Beklagte aus dem Beamtenverhältnis entlassen, weil die Diebstähle nach Auffassung des Verwaltungsgerichts ein schweres Dienstvergehen darstellen und dadurch ein sehr starker Vertrauensverlust entstanden war. Zudem bestünde Wiederholungsgefahr, sodass eine Weiterbeschäftigung als Beamtin nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht in Frage kam.
Hilfe durch einen Rechtsanwalt?
Sollten Sie bei einem Diebstahl erwischt worden sein, sollten Sie sich zeitnah einen Strafverteidiger wenden, welcher mit der Erscheinungsform der Kleptomanie vertraut ist. Gerade beim zwanghaften Stehlen ist es häufig wichtig, bereits unmittelbar nach einem Diebstahl die Weichen für die erfolgreiche Verteidigung zu stellen. Regelmäßig ist eine psychologische Betreuung notwendig, welche zeitaufwendig ist. Der Verteidiger muss in einem solchen Fall insbesondere versuchen, die Verfahrensdauer des Strafverfahrens der Therapie anzupassen. Auch ist es häufig notwendig, zeitnah Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden aufzunehmen.
Wenn Sie einen Verteidiger suchen, können sie unter den angegebenen Kontaktdaten einen Besprechungstermin mit Rechtsanwalt Dietrich vereinbaren.